Dispossession

TitelDispossession
TypBuch
Jahr2021
AutorenMüller Ariane, Bilda Linda, Janitzky Stephan, Leisz Anita, Lillie Sophie, Wachsmuth Arye, Olesen Henrik und Zawrel Peter
VerlagKünstlerhaus
OrtWien
ISBN978-3-900354-74-9
SchlagwörterAusstellungskatalog, Künstlerhaus Wien, zeitgenössische Kunst
Zusammenfassung

Vor zwei Jahren wurde die Künstlerin Ariane Müller vom damaligen künstlerischen Leiter des Künstlerhauses Tim Voss eingeladen, eine Ausstellung zu konzipieren, die sich mit der Geschichte der Künstlervereinigung in der Zeit vor, während und nach der nationalsozialistischen Herrschaft in Wien auseinandersetzte. Der Titel Dispossession beschreibt nun ihre Annäherung an dieses Thema und damit auch die Methodik der Ausstellung: Dispossession heißt auf Deutsch Enteignung, ohne dass das deutsche Wort den englischen Begriff ganz fasst. Es fehlt darin das Besitzen, vor allem aber das „Besessen sein“. Der Nationalsozialismus, wie jede rechte Bewegung, war von der Kategorisierung von Menschen besessen. Er definierte bis ins letzte entwürdigende Detail Zuschreibungen wie „jüdisch“, „homosexuell“ oder „asozial“. Was nicht „normal“ war, wurde als „entartet“ abqualifiziert. Er reduzierte weibliche Menschen auf ihre Reproduktionsfunktion und war besessen vom Konzept der Rasse und von der Ideologie daran geknüpfter Eigenschaften. So wurden Menschen beschrieben, deren Gemeinsamkeit darin bestand, dass sie selbst bei der Definition, die sie entwertete, nicht mitreden konnten. Der eigentliche Zweck dieser kategorisierenden Beschreibung war es, den Beschriebenen auf Basis dieser Beschreibung etwas wegzunehmen. Die Ausstellung argumentiert gegen die Vorstellung eines Besitzens von Eigenschaften, die sich aus Fremdzuschreibungen ergeben.

Die ausgestellten Künstler*innen Linda Bilda, Stephan Janitzky, Anita Leisz, Henrik Olesen, Arye Wachsmuth und die Historikerin Sophie Lillie wurden eingeladen, weil sie sich mit dem Komplex von Identitäts-Zuschreibungen, deren Ziel die Festschreibung, mit dem Ziel der Entwertung und damit Enteignung von Individuen ist, seit Jahren beschäftigen. Die Arbeiten entstanden nicht in Hinsicht auf eine Geschichte des Künstlerhauses. Sie zeigen vielmehr sehr unterschiedliche Methoden, wie man sich ihr überhaupt nähern kann. Sie weisen dadurch darauf hin, dass es andere Logiken gibt, als sie die erhaltenen Dokumente dieser Zeit übermitteln. Denn diese sind immer auch Teil dessen, was sie inhaltlich beschreiben.

Der zweite Teil fragt, was denn die Repräsentation überhaupt war, die das Künstlerhaus für seine Mitglieder leistete, und wie sehr die reaktionäre gesellschaftspolitische Ausrichtung dieser Künstlervereinigung unser Bild von Kunst beeinflusst hat. An sich muss man dafür nur mit offenen Augen durch Wien gehen. Es gibt kaum ein Amtshaus, eine Kirche oder einen Staatsopernvorhang, an dem nicht ein Mitglied des Künstlerhauses beteiligt war. Das Künstlerhaus hatte die Macht, Künstler*innen von diesem Kanon aus Aufträgen, Orden, Professorentiteln, Unterstützungen, Anerkennung, Rückhalt, Solidarität, praktischer Hilfe und Einkommen ausschließen – und tat es auch. Richard Apflauer, Theodor Bruckner, Jehudo Epstein, Hilda Goldwag, Sofie Korner, Gerda Matejka-Felden, Teresa Feodorowna Ries und der Sammler Marco Birnholz waren Menschen, die jede(r) mit dem Künstlerhaus zu tun hatten, die aber als Mitglieder entweder durchgängig ausgeschlossen waren oder denen man die gewährte Mitgliedschaft wieder absprach. Diese Entsolidarisierung reichte weit in die Nachkriegszeit und steuerte so auch ihre Präsenz in den heutigen öffentlichen Sammlungen. Es sind von ihnen allen nur wenige Arbeiten erhalten. Dispossession zeigt nun ausschnittartig einige davon in der Ausstellung jener Institution, die die Personen dahinter im Stich gelassen hatte und sich um ihr Schicksal zu ihren Lebzeiten nicht weiter bekümmerte.

Signatur

AK 2021/10